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Auf nach Süden

Alles begann in Bermuda. Es ging dann nach Kapstadt, sollte für mich aber vor der Atlantiküberquerung in Rio de Janeiro enden.

Die Bermudas selber sind wenig der Rede wert, wenn man nicht gerade Golfer ist. Zwei Tage lang war ich mit dem Besichtigungsprogramm beschäftigt, danach ging ich an Bord und hatte (fast) alles gesehen. Jetzt konnte das Abenteuer beginnen. Am 14.6. atmeten wir alle tief durch, als die Inseln im Dunst verschwanden und uns wieder Seeluft um die Nase wehte. Nur mir wurde ziemlich blümerant, als uns der beabsichtigte Kurs erklärt wurde: weit in den Atlantik hinein bis St. Pauls Rock und erst von dort geradenwegs nach Rio. Das heißt: keine Landsicht für 6 Wochen. Und das mir, die ich keine ernsthafte Erfahrung mit dem Meer hatte.

Jedenfalls empfing uns der Atlantik mit Dünung, aber dem Wind aus der falschen Richtung. So verbrachten wir erstmal einige Wachen vor Motor, um Zeit zu gewinnen. Das Problem lag nämlich darin, daß das Schiff in Südafrika schnellstmöglich für Filmarbeiten erwartet wurde, deshalb war an Aufkreuzen nicht zu denken - wir hätten zu viel Zeit gebaucht. Als sich Dünung und Gegenanwind dann vollständig legten, setzten wir Segel und warteten ab. Kein Luftzug kräuselte das Wasser und die Sterne spiegelten sich darin. Die Segelei macht auf diese Art zwar wenig Spaß, eine wahre Wohltat ist so ein Wetter aber für den, der gerade den Wetterbericht schreiben muß.

Aus einem mir schwer verständlichen Grund verausgabt sich das britische Wetteramt nämlich für Wetterberichte aus entlegenen Gegenden; angeblich, weil ihnen das hilft. Das könnte ich mir auch gut vorstellen, wenn ich nicht wüßte, daß diese Wetterberichte von Leuten wie mir geschrieben werden. Selbstverständlich soll es kein weiteres Problem sein, Luft- und Wassertemperaturen zu messen und das Barometer abzulesen. Etwas eigenartiger wird es aber, wenn man die Windstärke und Wellenfrequenz schätzen sowie die Richtung des Wahren Windes bestimmen soll. Meine vollständige Begeisterung brach dann aber regelmäßig aus, wenn ich Menge und Art der Wolken sowie deren Höhe schätzen sollte. Um das einigermaßen zuverlässig anzugeben, müßte man Meteorologe sein, ich bin aber keiner. Und dann kommt noch dazu, daß man manchmal die Fehler seiner Vorgänger bemerkt. Irgend jemand hat sich im Zahlencode verirrt und sich selbst als automatisches Aufzeichnungsgerät bezeichnet. Oder dank der Verwechslung der Kommastelle weicht unsere Position im Wetterbericht leider um 10° von der Wahrheit ab. Was ich selber für Blödsinn gebaut habe, will ich lieber gar nicht wissen.

Wie gesagt, fehlte mir infolgedessen der nötige Ernst für diese bedeutungsschwere Tätigkeit. Aber wenn es denn der Herzenswunsch des Wetteramtes und meines Skippers ist, so soll es mein Himmelreich sein, dem auch nachzukommen. Im Laufe der Reise erwies sich allerdings, daß der Wind fast durchgehend aus der statistisch umwahrscheinlichsten Richtung wehte. Ich konnte den Gedanken nicht loswerden, daß die Daten zur Statistik ja teils von Leuten wie mir erfaßt und aufgeschrieben wurden...

Jedenfalls gab es Zeiten, zu denen wir quasi gar kein Wetter hatten. Kein Wind, keine Wellen, keine Dünung. Zu Zeiten der Hoffnung dann auch keine Fahrt, weil es klar war, daß wir mit unseren Dieselvorräten nie bis Rio kommen und der Wind ja wohl kaum ewig wegbleiben kann. Einmal aß ich einen Apfel und warf den Griebsch ins Meer. Fasziniert beobachtete ich, wie er uns rasch überholte... An einem anderen Tag gingen wir unter "vollen" Segeln baden. Wann kommt man schon dazu, 1500 Meilen vor der Küste. An einem dieser Tage, als wir mit vielleicht 0,5 kn dahinrasten, erklärte Ross, der Erste Maat, grienend die tägliche Peilung für überflüssig - man könne unbesorgt die Position von gestern abschreiben. Unter solchen Umständen kann ein einzelner Drückerfisch, der sich unter Treibgut ins offene Meer verirrt hat, zum Großereignis werden. Er hatte dann aber vor unseren Angelhaken doch nichts zur befürchten, sie waren für ganz andere Kaliber geschaffen. Und diese bissen dann auch: kingfishes, Dorados und ein Bonito. Manch einer reichte für zwei Mahlzeiten à 17 Mann.

Vorher...Die Angelei ist zwar klasse zwecks Unterhaltung und Verpflegung, hat aber einen entscheidenden Nachteil: falls eine Äquatorüberquerung ansteht, bekommt Neptun Gelegenheit, sich für die Mißhandlung seiner Kreaturen zu rächen. Und genau das war auch der Fall.

Gut drei Wochen nach der letzten Landsicht näherten wir uns dem Äquator und Neulinge wie ich wurden gehörig eingeweiht: es handele sich um eine rote, auf der Wasseroberfläche verlaufende Linie, die pfiffig genug wäre, sich nach passierenden Schiffen von selbst wieder zu schließen. Bei Dunkelheit wird sie offenbar von Leuchtfischen erhellt, denn wie sonst könnte der große Moment nachts festgestellt werden? Jedenfalls kam am darauffolgenden Vormittag Neptun samt Gefolge - seiner holden Gattin, dem Herold und dem Schergen, alle in entsprechend würdiger Aufmachung - an Bord, um uns die erforderlichen Weihen zu verpassen. Und ausgelassen wurde keiner, es hätte die anderen ja wieder ein Dreizehntel an Gaudium gekostet.... und nachher Der Ablauf war folgender: Ein jeder wurde einzeln aufgerufen und durfte einer persönlichen Rede lauschen, die seinen gesamten seefahrtsrelevanten Lebenslauf sowie besondere Verdienste und Sünden gegenüber Neptuns Reich enthielt. Sofern nötig, folgten dem besondere "Ordnungsmaßnahmen" und sowieso die Verzierung der Person mit Essensresten, Wasserfarben und ähnlichem. Es ist einfach klasse, wenn man danach kopfüber in Seewasser untertauchen darf! Jedenfalls habe ich schon lange nicht mehr so viele Fotoapparate auf einem Fleck gesehen. Arm dran waren eigentlich nur diejenigen, die zwischenzeitlich rudergehen mußten, denen entging zumindest ein Teil.

Irgendwann hatte uns aber doch der Alltag wieder und wir mußten uns mit der Frage beschäftigen, wie wir in halbwegs vernünftiger Zeit nach Rio kommen; die Sache mit dem Hinsegeln konnten wir uns langsam abschminken. Wir hätten das übliche Azorenhoch gebraucht, statt dessen hatten wir aber ein Nordatlantikhoch von der Karibik bis Schottland, da wehte kein Wind so, wie er gesollt hätte. Infolgedessen hatten wir am Ende des Diesels noch jede Menge Weg vor uns. Es blieb gar nichts weiter übrig, als mit den letzten Litern auf Fortaleza am Nordostende Brasiliens zu halten, um dort zu tanken.


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