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Eine Affenschande

Wie das im Leben so ist: Manchmal hat man Chancen, die nicht wiederkommen. So eine begegnete mir, als ich vor Zeiten den neuen Törnplan meines Lieblingsschiffchens las: Die "Eye" kehrt zurück nach Australien und überquert den Pazifik: Panama - Kokosinsel - Galapagos - Osterinsel - Pitcairn - Marquesas - Tahiti. Kein Törn, den es ganz umsonst gibt, aber wo nimmt man auch normalerweise 100 Tage Urlaub her? Und vor allem: Wann findet mal wieder so eine Fahrt statt? Und da man schließlich irgendein Laster haben muß, flog ich Anfang März in Panama ein. Großes Hallo bei der Begrüßung, schließlich kannte ich nahezu die ganze Crew schon vorher, auch die anderen zahlenden Gäste ("voyage crew" laut der schiffsüblichen Bezeichnung) waren größtenteils schon öfter an Bord.

Am 4. März liefen wir aus Richtung Kokosinsel. Man kann dort ziemliches Pech haben und in tagelangen Dauerregen geraten, uns passierte das aber nicht. Wir blieben 4 Tage dort, gingen in tropischer Hitze im Bergregenwald wandern und tauchten zwischen den Hammerhaien, die der Nationalpark im Stempel führt. Den berühmten Schatz haben wir wie unsere sämtlichen Vorgänger aber nicht gefunden. Für uns war die Insel erst einmal wichtig wegen des Frischwassers, denn unser eigener Wasserbereiter bereitete noch mehr Probleme als Wasser.

Weiter ging die Fahrt zu dem Ziel, das mir am wichtigsten war: den Galapagos-Inseln. Diese mit ausländischen Schiffen zu besuchen ist schwierig bis unmöglich, in jedem Fall teuer. Es gibt aber einen Ausweg: Unglücklicherweise ereilte uns ein Motorschaden, just als wir am Hafen von Puerto Ayora vorbeifahren wollten. Wohl oder übel mußten wir also einlaufen und brauchten leider, leider volle 14 Tage für die Reparatur. Während dieser Zeit ging dann der größte Teil der Besatzung auf ein einheimisches Schiff, die "Galapagos Adventure", selbstverständlich mißmutig, in einer der biologisch interessantesten Ecken der Welt kleben zu bleiben.

Im Grunde war gegen das "Expeditionsschiff" nichts zu sagen, nur daß es keine Segel hatte und auch sonst eher unter den Sterblichen weilte. Es war eben ein Arbeitsmittel wie andere auch, kein Schmuckstück, auf dem ständig das liebende Auge seines Herren ruht. Verwöhnte Gäste wie wir bemerken das.
Billy, unser Nationalparkführer, war dafür über jeden Schatten von Kritik erhaben. Wir haben redlich versucht ihn zu überfordern, gelungen ist es uns nicht. Wir liefen die zu Besuch freigegebenen Stellen von Santa Cruz, Santiago, Bartholomé, Genovesa, Plaza Sur, Santa Fé, Floreana, Española und Seymour Norte an, mehr ist in einer Woche nicht zu schaffen. Wir haben uns davon faszinieren lassen, daß man tatsächlich aufpassen muß, keine Tiere auf dem Weg zu treten. Sie würden nie so einfach beiseite rücken - schließlich ist das ja ihr hart erkämpfter Stein, auf dem sie sitzen.
Auf Santa Fé habe ich mich ganz heroisch an der Rettungsaktion für einen Seelöwen nicht beteiligt - man sollte seine Grenzen kennen. Richtig hat er auch zwei von uns chirurgiereif gebissen, als er aus einem Stück Treibmüll befreit werden sollte, das ihn langsam zu erwürgen drohte. Geholfen werden konnte ihm trotzdem und seine beiden "Opfer" kamen mit dem Schrecken und dekorativen 30-Stich-Narben am Arm davon.

Doch alles hat ein Ende, auch unsere Zeit in Galapagos und so machten wir uns auf die Reise Richtung Osterinsel. Der Wetterbericht sah nicht sehr gut für uns aus, sicherheitshalber wurden an Deck noch ein paar Dieselfässer gebunkert. Doch wider Erwarten setzen wir Segel noch in der Ausfahrt von Santa Cruz und nahmen sie erst wieder herunter, als wir den Hafen von Hanga Roa auf der Osterinsel vor uns hatten.

Die Osterinsel ist nun in vieler Hinsicht das Gegenteil von Galapagos: Die Natur dort wurde schon vor Jahrhunderten von der seinerzeit herrschenden Überbevölkerung verspeist, die uns dafür ihre Statuen und noch ein paar andere Rätsel hinterließ. Auch hier wie überall auf dieser Fahrt kein Gedanke, im "Hafen" festzumachen - selbst unser Schlauchboot mußte noch aufpassen, nicht überall anzuecken.
Reisen auf der Osterinsel ist ein ausgesprochen intimes Erlebnis: ständig traf man Leute, die man kannte. Ob man die, die man noch nicht kannte, noch kennenlernte, lag an einem selbst. So hat mich an einem Tag der Dorfsheriff mit dem Motorrad über Stock und Stein zu den Sehenswürdigkeiten gefahren; anderentags holten zwei Viehhirten für mich extra ein Pferd von der Koppel, um mit mir, die ich nicht reiten kann, einen 20-km-Ausritt in die Steinbrüche zu unternehmen. Danach waren meine Knochen für eine Weile außer Gefecht gesetzt, so daß es dann auch weiter kein Verlust war aufzubrechen und auf die Pitcairn-Inseln zu halten.
Einige von uns behaupteten steif und fest, die Reise überhaupt nur wegen Pitcairn zu unternehmen, es lebe die Meutereiromantik. Mich interessierte da viel mehr Hendersson, eine unbewohnte Insel ein paar Seemeilen vor Pitcairn, wegen ihrer endemischen Vögel.

Die Pitcairn-Inseln empfingen uns leider nicht so freundlich, wie für einen Landgang notwendig gewesen wäre. An den Klippen von Henderson schäumte die Brandung meterhoch, da war für unser Schlauchboot kein Durchkommen. Achterliche Winde von 25 kn und mitlaufende Dünung - wer sich am Ruder noch nie blamiert hat, konnte in diesen Tagen mal sehen wie das ist. Ein Strich vom Kurs konnte als annehmbare Leistung durchgehen - zwei Strich nicht unnormal. Kein Gedanke an die Zeiten, als der Erste Maat mich mit dosierter Fütterung von Kartoffelchips auf Abweichungen von <1° dressierte - das war ja auch in der Ostsee. Jedenfalls graulte sich am Mast nur eine einzelne Voruntermars, trotzdem preschten wir mit 4 - 5 kn vorwärts Richtung Pitcairn.

Die Pitcairner - 36 nach letzter Zählung - kennen unser Schiff schon. Diesmal war es für sie sogar fast ein Geschenk des Himmels. Zur selben Zeit wie wir war nämlich einer der drei Frachter pro Jahr eingetroffen. Er konnte zwar auf Reede entladen werden, doch die Boote kamen unmöglich bei der herrschenden Dünung heil zurück zur Bounty Bay. Also legten wir Arbeitseinsätze ein und luden zwei Drittel der Fracht um zu uns. Wie schön, daß niemand unsere Lademarke kontrollieren konnte, als über und unter Deck sowie auf den Deckshäusern alles gestapelt wurde, was die Dünung dort ließ. Als Dankeschön wurden wir bei Abreise gratis verproviantiert mit allem, was die Insel irgendwie entbehren konnte - u.a. Bananen. Als letztere reiften, gab die Kombüse täglich neue Slogans heraus, wie dem Segen Herr zu werden sei. Als selbst der Hinweis auf die magische Wirkung von Bananen auf Intelligenz und Potenz nicht mehr die erwünschte Wirkung zeigte, wurde ein unteres Limit gesetzt: 10 Bananen pro Tag pro Kopf. Wider Erwarten wurden sie eines Tages tatsächlich alle, ohne daß nennenswerte Mengen weggeschmissen worden wären.

Nächstes großes Ziel nach einem Abstecher zu Oeno waren die Marquesas-Inseln, von denen wir 4 der 5 bewohnten anliefen: Fatu Hiva, Hiva Oa, Tahuata und Nuku Hiva. Faszinierendere Kulissen als die steilen bewaldeten Abhänge der alten Vulkankerne kann man sich kaum vorstellen. Dazu wandelt man in Kokospalmenhainen und zwischen blühenden Hecken - gelegentlich möchte man sich kneifen, ob das Ganze auch keine Einbildung ist. Die Sache war aber vollkommen echt. Und dann noch solche Ausflüge, die dann besonders angenehm sind, wenn man ein "eigenes" Schiff dabei hat: von der Bucht von Anaho über den Bergkamm in die Bucht von Hatiheu und dort vom Schiff wieder aufgesammelt werden...

Was uns jetzt noch von Tahiti trennte, war der sogenannte "gefährliche Archipel", die Tuamotus. Er muß tatsächlich in früheren Zeiten ein reiner Alptraum gewesen sein. Es handelt sich um hunderte von Atollen, die alle mehr oder weniger gleich ausehen und ständig wechselnde Strömungen hervorbringen. Wir wandten einen zärtlichen Gedanken an den Diesel und das GPS, die uns im Notfall treu beschützen konnten. Der Notfall trat aber nicht ein. Im Gegenteil konnten wir uns in der Lagune von Rangiroa wieder an ein wenig Zivilisation gewöhnen - es gibt dort richtige Touristen!

Ein letzter Schlag nach Westen und wir sahen wieder Hafenanlagen, Lärm und Großstadt um uns - wir hatten am 13. Juni Papeete auf Tahiti erreicht. Es ist nicht wahr, daß Papeete wie Paris ist, ganz sicher ist es aber auch nicht mehr wie die Südsee. Ein buntes Völkergemisch bestimmt das Bild, die Provisorien Polynesiens scheinen weit.

Es war eine großartige Fahrt, für die ich gern noch viel mehr Schwierigkeiten auf mich genommen hätte, als tatsächlich nötig waren.

Es ist wirklich eine Affenschande, in solcher Kürze darüber zu berichten.

(1997)

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