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Semesterarbeit Rechtsphilosophie:

Der Hundertjährige Krieg und der Prozeß Jeanne d'Arc - Folgerungen

  1. Formaler Anlaß des Hundertjährigen Krieges war ein nachvollziehbarer Rechtsstreit. Nach flüchtiger Prüfung scheint der Anspruch Eduard des III. jedoch gesucht und fadenscheinig, da die Erbfolge Frankreichs durch die Salischen Gesetze geregelt wurde. Da die Einsichtnahme in dieses Gesetzeswerk jedoch aus Zeitgründen nicht möglich war, muß eine endgültige Entscheidung hier unterbleiben.

  2. Es stellt sich die Frage nach der Rechtsgültigkeit von Verfügungen eines für unzurechnungsfähig erklärten Königs. Zwar mußte für das Reich ein Regent gefunden werden, doch diese Entscheidung fällte wiederum der König, der nach heutigen Maßstäben schuld- und geschäftsunfähig war. Es ist zu vermuten, daß der Fall damals beispiellos war, so daß gesetzliche Regelungen nicht existierten. Da der französische König jedoch keinem weltlichen Souverän unterstand und die Entscheidung kaum den Vasallen oder erbberechtigten (befangenen) Verwandten übertragen werden konnte, mußte dem König entweder begrenzte Entscheidungsgewalt (Geschäftsfähigkeit) zugestanden werden oder der Erbe und Regent nach Naturrecht eintreten. Aus heutiger Sicht kann nur eine Erbfolge nach Naturrecht auf den ältesten Sohn akzeptiert werden.

  3. Beide Konkurrenten um den französischen Thron wurden nicht nach französischer Tradition gekrönt. Heinrich der VI. von England kann schon wegen seines Alters von 9 Monaten nicht gekrönt werden, er wird nur in Paris zum König ausgerufen. Karl der VII. wird König durch Akklamation, da der Krönungsdom vom Reims in englich besetzten Gebiet liegt.

  4. Jeanne d'Arc ist nicht von Adel und hat auch keinerlei militärische Ausbildung. Deshalb und aus anderen formalen Gründen wird sie nie regulärer Oberbefehlshaber der Armee, sie versieht ihr Amt immer nur de facto.

  5. Ketzerprozesse waren aus ihrer Natur besonders geeignet zur Beseitigung unbequemer Personen, da eine unbeugsame Geisteshaltung notfalls als Beweis ausreichte. Vom englischen Prozeß gegen Jeanne d'Arc konnte jedoch ein Freispruch von vornherein nicht erwartet werden, auch wenn das Urteil vordergründig durch die Kirche gefällt wurde. Ein Freispruch hätte bedeutet, daß sich England als Staat und der König als Person, vertreten durch den Regenten, im Unrecht befinden und die englische Kirche, die den Krieg auf ihrer Seite selbstverständlich unterstützte, nicht dem Willen Gottes folgt. Eine solche Konstellation war damals undenkbar.
    Man kann davon ausgehen, daß Jeanne d'Arc sich der Ausweglosigkeit ihres Prozesses bewußt war. Dafür sprechen sowohl ihr Selbstmordversuch als auch die stolze Haltung vor Gericht. Das Urteil hätte weder durch Demut noch andere Maßnahmen von ihrer Seite beeinflußt werden können.

  6. Jeanne d'Arc war bei ihrer Prüfung am Hof Karls des VII. von der Königin von Sizilien und anderen Hofdamen auch auf Jungfräulichkeit untersucht worden. Dieser Beweis war deshalb wichtig, weil der Teufel nach damaliger Auffassung keine Macht über ein unberührtes Mädchen hat. Der Gerichtshof erkannte ihr die Jungfernschaft nicht ausdrücklich ab, wenn auch eine zweite Prüfung unmöglich war. Nach meinem Ermessen hätte allein diese Tatsache in einem Prozeß wegen Häresie und Ketzerei (Hexerei und Pakt mit dem Teufel) zum Freispruch führen müssen.

  7. Während des Prozesses werden Aussagen Jeannes fixiert, die später leicht als Weissagungen kommender Ereignisse gedeutet werden konnten und weitere "Beweise" für ihre Heiligkeit lieferten. So sagt sie einen großen Verlust Englands vor dem Ablauf von 7 Jahren voraus und ihre eigene Befreiung nach 3 Monaten. Kurz vor Ablauf der sieben Jahre fällt Paris wieder an Frankreich, Jeannes Hinrichtung ("Befreiung der Seele") erfolgt fast auf den Tag drei Monate nach der Prophezeiung.

  8. Das Urteil ergeht ohne Schuldeingeständnis und die auch tatsächlich unmöglichen Beweise. Für den theologisch und kirchenrechtlich nicht vorgebildeten Betrachter ist auch in keiner Aussage Jeannes ein Grund für einen Schuldspruch zu erkennen. Eine rechtskräftige Verurteilung auf dieser Basis wäre heute unmöglich.

  9. Nachdem Karl der VII. seine Hoheit über ganz Frankreich wieder hergestellt hat, stellte sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft wieder in neuer Schärfe. Da sich die Antwort aus der Erbfolge nach wie vor nicht ohne jeden Zweifel herleiten läßt, kommt nur der göttliche Wille, geäußert durch die Jungfrau von Orleans, in Betracht. Da diese aber als Ketzerin, als Gegnerin Gottes verbrannt wurde, mußte sie unbedingt rehabilitiert werden. Die Revision durch die französische Kirche war damit nicht weniger präjudiziert als der Schuldspruch durch die englische Kirche.

  10. Die Anordnung der Revision durch den König hat formal lediglich den Charakter einer Absichtserklärung, wenn hiermit auch ein deutliches Signal gegeben wurde. Das Urteil war von der Kirche gefällt und konnte auf den Antrag von Jeannes Mutter nur durch die Kirche wieder aufgehoben werden.

(1991)

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