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Keine Angst vor wilden Tieren

Ross Pierce, Erster MaatDas Mitbringen von Schußwaffen und lebenden Tieren an Bord ist verboten, so eine der Mitsegelbestimmungen. Diese Aufzählung wirkt allerdings weit weniger kurios, wenn man an den Papierkrieg denkt, der mit jedem neuen Hafen geführt werden muß. Man macht sich als Außenstehender keine Vorstellung davon, was für Formalitäten und Schwierigkeiten außerhalb der EG auf kleine globetrottende Schiffe lauern können. Und würde jetzt noch einer nach dem Gesundheitspaß für den etwaigen Schiffspapagei (der stilistisch ansonsten gut passen würde) fragen, so wäre dies sicher der endgültige Zusammenbruch. Nein, solche Tierchen werden einem hier nicht begegnen.

Besorgnis unter Neulingen könnte höchstens auslösen, daß der Skipper auf einen ganz besonderen Spitznamen hört: Tiger. Dieses Wort ist so mit ihm verwachsen, daß es schon besonderer Bemühungen bedarf, um seinen offiziellen Namen zu erfahren. Wer nun aber annimmt, dies käme von raubtierhaftem Benehmen, der irrt. Im Gegenteil: Die Umgangsformen an Bord sind von ausgesuchter Wärme und Höflichkeit. Jede Aufforderung zu irgendwas beginnt mit "Würdest Du bitte...", jedes Befolgen der Anweisung wird mit einem "Danke!" quittiert. Schließlich wird die Wache dann mit einer allgemeinen Danksagung an alle beendet. Man kommt sich direkt manchmal komisch vor, schließlich segelt man nicht auf einem Kreuzfahrtschiff und hat die übliche Unterwerfung unter die Befehlsgewalt des Kapitäns unterschrieben. Es hat mich dann auch sehr beruhigt, als Grainne, eine der Köchinnen, das Dankeschön für's Abendessen eines Tages entgegennahm mit: "Danke Mutter, daß du mich geboren hast, danke Vater, daß du Mutter getroffen hast..." Sie hatte mir aus der Seele gesprochen.

Überhaupt ähnelt die ganze Atmosphäre des Schiffes eher einer Großfamilie als einer (auf Schiffen ja eigentlich notwendigen) Diktatur. Wobei mir eine derart friedliche Großfamilie sonst aber nicht bekannt ist. Soweit mir bewußt, war die härteste Auseinandersetzung im Laufe von 6 Wochen die Drohung Janets, der anderen Köchin: "Nicht frech werden in der Kombüse!" Wer nicht gewillt ist, sich einzuordnen, Rücksicht zu nehmen und großzügig zu sein, der hat auf so kleinen Schiffen einfach nichts verloren. Man kann sich das Leben hier im Handumdrehen verekeln. Deshalb biegt man Auseinandersetzungen besser vorher ab oder bleibt zu Hause. Gerade deshalb war es zum Beispiel keineswegs meine Privatsache, wenn ich mal wieder unter meinen fast unvermeidlichen Anfällen von Seekrankheit litt. Unsere Wache bestand ja nur aus 5 Leuten, inklusive des jeweiligen Wachoffiziers und -leiters. Wenn da einer fehlt, merken die anderen das sehr wohl. Nun war es zwar nie so, daß man als Trainee an Überarbeitung litt, aber immerhin. So ist es einfach ein Gebot der Höflichkeit, nicht seekrank zu sein bzw. alles Erfolgversprechende dagegen zu unternehmen. Gottseidank ist mir das mit fachkundiger Nachhilfe meistens gelungen. Im übrigen kann ich bei leichten (!) Anfällen von Seekrankheit nur wärmstens eine Ruderwache empfehlen. Man ist beschäftigt, nicht übermäßig, aber geistig wie körperlich, und hat keine Gelegenheit, sich auf seine Zipperlein zu konzentrieren. Es kann Wunder wirken.

Und wo wir schon mal beim Thema sind: die Ruderwachen sind ein schönes Beispiel dafür, warum ich den kleineren Schiffen einfach mehr abgewinnen kann. Auf der "Sedov" bin ich binnen 13 Tagen ein Mal ans Ruder gekommen. Als fünftes Rad am Wagen zwischen 4 Kadetten. Wenn ich da irgendwas bewirkt habe, dann höchstens, daß ich störte. Auf der "Eye" hat jeder in jeder Wache mindestens einmal Ruderwache, pro Tag diesmal also rund 2 Stunden. Und das kann dann so aussehen, daß man bei Ruderübergabe die Anweisung bekommt: "Am Wind, etwa Süd-Südost. Sieh zu, daß du so weit nach Südost kommst wie möglich." Und dann stehe ich da und sehe zu, wie ich nach Südost komme. In solchen Fällen hat man zwar eine Aufsicht im Kreuz und das ist gut so, aber mehr als Kontrolle ist das auch nicht. Bevor die Segel nicht Gefahr laufen backzuschlagen, entscheidet man selbst und allein, wie man seinen Anweisungen folgt.

Dasselbe in grün gilt für die Segelmanöver. Man sollte mit der Zeit schon wissen, was wie abläuft, wann die Geitaue und wann die Schots geholt werden. Hier reicht es auch keineswegs, z.B. die Brassen eines bestimmten Mastes zu finden. Auf der "Eye" gibt es überhaupt keine "fremden" Tampen - jeder sollte jede Leine kennen. Kein Grund allerdings zur Verzweiflung, es handelt sich um ein Segelschulschiff und das ist jedem bewußt. Am Anfang wird dem "Jung-Trainee" jeder Tampen extra gezeigt. Man sollte das dann still für sich anhand des ausgehändigten "Rope- and Sailtraining Manual" wiederholen und weiter einpauken, aber niemand ist sauer, wenn später sicherheitshalber noch einmal nachgefragt wird. Überhaupt ist es gelegentlich ein reines Vergnügen, etwas nicht zu wissen, da alles sofort, selbstverständlich und mit Engelsgeduld erklärt wird: "Tu dies und jenes nicht so und so, sondern so, weil... " Danach kann man höchstens noch am Sprachverständnis scheitern.

Dies ist nämlich keineswegs so einfach, wie man denken sollte. Zur Erinnerung: Bordsprachen sind Englisch und Australisch. Zwar sind nur Teile der Crew Australier, aber auch für die längst einschlägig unterwanderten Briten ist Australien das Maß der Dinge: London hat so viele Einwohner wie Australien, Kapstadt liegt auf dem Breitengrad von Adelaide. Teatime ist um 15 Uhr - shocking! Und wer jetzt denkt, Australier redeten Englisch, der irrt gewaltig: Let stok strain - Let's talk Australian. Folgerichtig wurde mir gleich zum Anfang mitgeteilt, daß man mich diesmal aber nicht ohne australischen Akzent weglasse. Ich könne mir schon mal eine Klammer auf die Nase stecken und anfangen zu üben...

Wer an Bord nicht australisch, aber trotzdem unverständlich redet, spricht wahrscheinlich irgendeinen schottischen Dialekt, wesentlich besser ist man als armer Ausländer damit aber auch nicht bedient. Und dazu kommt dann noch das allgemeine Problem, daß sich Muttersprachler eben mit Recht ungern auf bestimmte Worte für bestimmte Dinge beschränken lassen. So gibt es wie bei uns "Regenjacke", "Wetterzeug", "Ölhaut" usw., und alles muß man erstmal verstehen und schlucken. Gottseidank ist aber auch in Australien und Schottland Englisch erste Fremdsprache, die gut verstanden und auf Nachfrage auch benutzt wird. Schließlich führt man als nichtbritischer Europäer zwangsläufig das Dasein eines sprachbehinderten Bordexoten und genießt damit sowas wie Artenschutz. Gelegentlich bekommt man aber auch Sätze zu hören, die anfangen mit: "Ihr Europäer..."


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